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Das erste Dörpsmobil ist 2016 an den Start gegangen. Wie ist es damals dazu gekommen?

Timo Wiemann: Das Problem ist den meisten bekannt: Auf dem Land gestaltet sich Mobilität oft schwierig. Ohne eigenes Auto sind die Menschen auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen und der erschöpft sich in vielen Regionen leider auf die täglichen Schulbusse. Also haben engagierte Menschen im nordfriesischen Klixbüll nach Alternativen geschaut. Allen voran Bürgermeister Werner Schweizer. Seine Vision: ein elektrisch betriebenes Dorfgemeinschaftsauto für die rund 1.000 Bewohner seiner Gemeinde. Jede und jeder soll mitfahren können.

Und – ich kürze ‘mal ab: Im Mai 2016 konnten die ersten Klixbüller mit einem geleasten Renault Zeo durch die Region fahren – elektrisch betrieben, geladen durch lokal erzeugten Öko-Strom. Und organisiert über einen schon bestehenden Verein im Ort. 

Nun war ein Fahrzeug allein noch kein Auslöser für eine völlig neue – und landesweite – Mobilitätsinitiative. Da gehörte sicher mehr dazu. 

Torsten Sommer: Unser erster Anknüpfungspunkt war die AktivRegion „Nordfriesland Nord“. Sie unterstützte damals die Bemühungen von Werner Schweizer und förderte in Klixbüll bereits das „Drumherum“: in dem Fall Carport, Ladesäulen und Schlüsseltresor – und zwar mit Hilfe von ELER-Mitteln, also EU-Geldern für die Entwicklung des ländlichen Raums.

Wir als Akademie haben schnell die Potenziale von Dörpsmobil erkannt. Und so haben wir gemeinsam mit allen 22 AktivRegionen unter dem Motto „Wir bewegen das Dorf!“ einen Leitfaden für elektromobiles Carsharing im ländlichen Raum erarbeitet. 
Die landesweite Resonanz auf die Veröffentlichung des Leitfadens im Dezember 2017 hat uns glatt „überrollt“. Es ist klargeworden, dass es für E-Carsharing im ländlichen Raum in Schleswig-Holstein einen großen Bedarf gibt. Und dass damit ein erheblicher Beratungs- und Unterstützungsbedarf verbunden ist – weit über den Leitfaden hinaus.
Deshalb haben wir 2018 wiederum das von der ALR betreute Netzwerk der 22 AktivRegionen genutzt und gemeinsam die Erfolgsgeschichte Dörpsmobil SH fortgeschrieben und vorangebracht:
Ziel war und ist es, das Klixbüller Projekt in ganz Schleswig-Holstein „auszurollen“ – unter anderem mit einer landesweiten Koordinierungsstelle. Dazu haben wir die Lizenzen für eine Buchungs- und Abrechnungs-App eingekauft und stellen diese Dörpsmobil-Vereinen und -Gemeinden in Schleswig-Holstein kostenlos zur Verfügung. Die Anwendung ist technisch ausgereift, nutzerfreundlich und vor allem spart sie den überwiegend ehrenamtlich organisierten Dörpsmobil-Betreibern richtig viel Zeit.
Den bereits erwähnten Leitfaden haben wir aktualisiert und inzwischen vier Mal nachgedruckt – das zeigt den enormen Bedarf. Übrigens: In Klixbüll läuft die Geschichte weiter. Aktuell geht dort das zweite Dörpsmobil an den Start – angedockt an ein „zweitwagenfreies Neubaugebiet“. Die AktivRegion half wiederum erfolgreich bei der Beschaffung von Fördermitteln für ein Carport inklusive Ladestation und PV-Anlage sowie ein ergänzendes elektrisches Lastenfahrrad.

„Ziel war es, das Klixbüller Projekt in ganz Schleswig-Holstein auszurollen“ – und dieser Roll-out läuft seit 2018 sehr erfolgreich

Der landesweite Anlaufpunkt war also ein logischer Schritt?

Timo Wiemann: Ganz genau. Deshalb haben wir im April 2019, ziemlich genau drei Jahre nach der Premierenfahrt in Klixbüll, die Koordinierungsstelle in Kiel eröffnet. Mit der Akademie für die Ländlichen Räume als maßgeblichem Treiber. Dank des schleswig-holsteinischen Ministeriums für Energiewende, dem Innenministerium und der EKSH (Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig-Holstein, Anm. d. Red.) haben wir drei starke Förderer mit an Bord – und sind damit in der Lage eine breite Palette anzubieten. Von Beginn an leite ich die Koordinierungsstelle Dörpsmobil SH und gerade die Arbeit mit den Akteuren vor Ort macht mir sehr viel Spaß.
Auf der lokalen Ebene informieren wir interessierte Gemeinden, Vereine und Initiativen und unterstützen sie bei der Planung und dem Aufbau ihres eigenen Dörpsmobils.
Auf der landesweiten Ebene koordinieren wir Aktivitäten und haben die Basis geschaffen für professionelle Strukturen und einen intensiven Austausch. So treffen sich beim jährlichen Netzwerktreffen alle bestehenden und zukünftigen Dörpsmobil-Trägervereine und -Initiativen. Das heißt: Auch diejenigen, die sich noch in der Planungsphase befinden, sind von Anfang an Teil der Dörpsmobil-„Familie“ und können so von den „alten Hasen“ lernen. Vergangenes Jahr mussten wir coronabedingt natürlich auch auf Online-Formate ausweichen. Dazu gehört eine onlinebasierte Befragung, wie sich die Akteure eine noch bessere Öffentlichkeitsarbeit vorstellen.
Aber, wo stehen wir aktuell? Inzwischen gibt es mehr als 25 Vereine, die sich in unterschiedlichen Stadien mit der Umsetzung befassen. In den beteiligten Gemeinden sind bereits insgesamt 27 Dörpsmobile unterwegs. Aus unserer Sicht eine beachtliche Entwicklung.

Wo sehen Sie die Verbindung zu den MarktTreffs?

Torsten Sommer: Zum einen ist die Akademie seit vielen Jahren offizieller Partner der MarktTreffs: Wir sind begeisterte Anhänger des Projekts. Zwischen Dörpsmobil und MarktTreff gibt es zudem einige Parallelen: Der hohe Grad der Bürgerbeteiligung, die Organisationsform als Genossenschaft oder als Verein. Die starke soziale Komponente. Es gibt ja schon einzelne MarktTreffs, die E-Ladesäulen vorhalten und zum Beispiel in Sehestedt am Nord-Ostsee-Kanal ist am MarktTreff ein E-Auto stationiert. Eigentlich sind Dörpsmobil und MarktTreffs natürliche Partner, wenn es um mehr Lebensqualität, mehr Mobilität und mehr Klimaschutz geht. Deshalb sagen wir: Lassen Sie uns 2021 unsere Partnerschaft intensivieren und mehr MarktTreff-Gemeinden für Dörpsmobil gewinnen. 
Wir haben eine gute Basis geschaffen, eine breite Palette an Service-Angeboten wie Timo Wiemann eben gesagt hat: Das System funktioniert, unsere Dörpsmobil-App hat sich im Kundenalltag bewährt und steht allen Dörpsmobil-Initiativen zur Verfügung. Die Koordinierungsstelle und die Partner in ihrem Netzwerk haben sich sehr gut eingespielt und – trotz Corona – gut weiterentwickelt.

Die starke soziale Komponente: „Eigentlich sind Dörpsmobil und MarktTreffs natürliche Partner"

Was sind aus Ihrer Sicht die nächsten Schritte?

Timo Wiemann: Wir stehen jederzeit für Fragen zur Verfügung und informieren auch gern direkt vor Ort in MarktTreff-Gemeinden. Im Netz werden unter doerpsmobil-sh.de Interessierte fündig. Zum Beispiel bieten wir dort den umfassenden Leitfaden zum kostenfreien Download an, der alle Hintergrund-Informationen bereithält: von der Idee über die einzelnen Planungsschritte bis hin zu Hinweisen zu Rechtlichem, Finanzen oder Versicherung. Gedruckte Exemplare können kostenlos bei der ALR in Flintbek bestellt werden.

Stand heute fahren 27 Dörpsmobile „e-grün“ durchs Land. Welche Ziele haben Sie mittelfristig? Was versprechen Sie sich von der neuen Partnerschaft?

Torsten Sommer: Wir sind mit diesem Zwischenergebnis erstmal sehr zufrieden. Das zeigt doch, der Bedarf ist da: für Carsharing in ländlichen Gemeinden, das ökologisch ist und die bestehenden Lücken im Nahverkehr schließt. Wenn nun von den rund 40 MarktTreffs noch etwa zehn Gemeinden mit Dörpsmobil dazu kämen – das wäre doch ein schönes gemeinsames Ziel.

 

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